Philipp Maria Rosenberg - Rotwelsch
Besetzung:
- Philipp Maria Rosenberg (Klavier)
- Florian Kolb (Kontrabass)
- Jordi Pallarés (Schlagzeug)
Jazz und Operette – es gehört ein feines Gespür und eine klare Vision dazu, um das zusammenzuführen. Mit dem Projekt „Rotwelsch“ schlägt der Schweizer Pianist Philipp Maria Rosenberg mehr als nur eine Brücke zwischen den beiden völlig verschiedenen Welten. Sein Trio holt die stimmungsvollen Melodien aus großen Operetten in einen völlig neuen, zeitgemäßen Kontext. Die Freiheiten des improvisatorischen Flusses entfalten sich im Lichte der schwelgerischen Themen, ihrer Schönheit und ihres romantischen Flairs. So entsteht eine geradezu magische Atmosphäre jenseits konventioneller Routinen.
„Rotwelsch“ ist ein außergewöhnliches Jazz-Unternehmen, auch im Vergleich zu den vielen, die Klassik – egal welcher Art und Gewichtsklasse - mit Jazz zu verbinden suchen. Für Philipp Maria Rosenberg ist es ein sehr persönliches Projekt. Allerdings entspringt es keineswegs einer lang gehegten geheimen Leidenschaft. Erst vor einigen Jahren hatte der Jazz-Pianist aus Zürich damit begonnen, in den gewaltigen Schatz an Operetten-Liedkunst einzutauchen. Aus den neugierigen, spielerischen Anfängen entwickelte sich schnell eine intensive Auseinandersetzung. Rosenberg entdeckte die enormen Qualitäten vieler Lieder, vor allem ihrer Melodien. Die Beschäftigung mit Stücken von Komponisten-Koryphäen wie Joseph Beer, Robert Stolz oder Karl Millöcker mündete in spezielle Bearbeitungen für ein improvisationsfreudiges Trio.
Das Persönliche offenbart sich zunächst in der Auslegung der Stücke. Rosenberg löste die Themen feinfühlig aus dem herkömmlichen Zusammenhang. Ausführlich befasste sich der Pianist und Arrangeur mit Möglichkeiten der Bearbeitung, um sie ganz nach seinem Empfinden zur Grundlage von stimmungsvollen, ausdrucksstarken Improvisationen zu machen. Noch persönlicher ist die emotionale Strahlkraft seines Spiels. Man spürt, dass der Schweizer von einer Liebe zu den ausgewählten Melodien erfüllt ist. „Ich habe ein Romantikerherz“, gibt er lächelnd zu. Dennoch sind die Band-Versionen von „Die ganze Welt ist himmelblau“, „Wenn es Abend wird“ oder „Schenk mir das Himmelreich“ frei von Klischees, von Vorhersehbarem. Das „Rotwelsch“-Trio mit Florian Kolb (Bass) und Jordi Pallarés (Schlagzeug) gewinnt den Stücken etwas gänzlich Neues, Eigenes ab, und wagt sich dabei immer wieder auf herausforderndes Terrain. „Improvisation braucht Raum“, weiß Rosenberg. Die Freiheiten folgen dem roten Faden der Lieder – ihr Geist schwingt stets mit. Als Pianist bekennt er sich entschieden zu einer europäischen, einer klassischen Klavierästhetik. Die macht den „Rotwelsch“-Sound umso schlüssiger.
Im Zuge seiner Arbeit am „Rotwelsch“-Repertoire hat Philipp Maria Rosenberg auch Erkenntnisse über Jazzgeschichtliches gewonnen. „Operetten-Lieder sind die Vorgänger von Broadway-Songs“, erklärt er. „Da gibt es in der Form erstaunliche Parallelen. Viele sind schematisch fast gleich gesetzt.“ Bekanntlich wurde das sogenannte Great American Songbook zu einer beliebten Material-Quelle für den Jazz – zunächst in den USA, später weltweit. „Auch dadurch haben viele Lieder überlebt: weil sie durch die vielfachen Interpretationen quasi auf eine höhere Stufe gebracht wurden. Mit den Operetten-Stücken ist das leider nicht passiert. Die meisten sind in der ursprünglichen Form geblieben. Deshalb kennen die heute auch viele nicht.“ Mit seiner Song-Auswahl trägt Rosenberg, der beständig auf der Suche nach neuem, reizvollem Material ist, zu Aufbau und Entwicklung eines Pendants bei: eines gehaltvollen Great European Songbook.
Keinen Hehl macht er aus seiner Distanz zu vielen der Texte. „Als Instrumentalist haben wir den Vorteil, dass wir uns an die wunderbare Musik halten können. Die teils doch arg klischeehaften, manchmal auch problematischen Texte müssen wir dabei nicht groß beachten.“ Ein Vergnügen für sich sind die Songtitel. Wo findet man schon Jazzalben, deren Titelauflistung („Sternenromanze“, „Schenkt man sich Rosen in Tirol“) derart bruchlos aus einer ganz anderen, vermeintlich fernen Welt grüßt. Wobei Rosenberg auch einen konzeptionellen Ausreißer berücksichtigte. Die wohl bekannteste Melodie, Werner Richard Heymanns „Irgendwo auf der Welt“ (Comedian Harmonists u. a.), repräsentiert ein Stück Berliner Liedkultur des frühen 20. Jahrhunderts – formal nah dran an manchen Operetten-Songs.
Der Projekttitel „Rotwelsch“ lässt sich im übertragenen Sinne auch auf die Art beziehen, wie Rosenberg und Gruppe mit den Vorlagen umgehen. Rotwelsch ist ein althergebrachter, bereits im Mittelalter geprägter Sammelbegriff für sogenannte Gaunersprachen, einer Art Geheimsprachen. Deren verschiedene Varianten entstanden aus Mischungen verschiedener Sprachen, Dialekte und Begriffe. Manche Worte fanden Einzug in unser aller Alltag, von „Stuss“ oder „mosern“ bis zu „ausbaldowern“ und „Bock haben“. So mischt auch Rosenbergs Schweizer Bande auf spezielle Weise verschiedene (Musik- und Klang-)Sprachen, Vokabulare und Codes. Das Trio hat seit 2022 über 100 Konzerte gegeben. Das erste Album wurde von der renommierten japanischen Plattform „PJ – Portrait in Jazz“ zu einem der „besten Jazz-Releases 2022“ gekürt. Das aktuelle „Rotwelsch“ ist im Herbst 2025 erschienen. Philipp Maria Rosenberg ist Jahrgang 1993. Geboren und aufgewachsen ist er in Winterthur. Begeisterung für Musik zeigte er schon als kleines Kind. Nachhaltig prägend waren Kassetten mit privaten Klavieraufnahmen seines verstorbenen Großvaters, der leichte romantische Stücke von Schumann, Chopin und anderen spielt. Philipp Marias musikalische Ausbildung am Klavier und im schulischen Musikunterricht wurde durch sein notorisch rebellisches Naturell erschwert – und zeitweise sogar unterbrochen. Der Schüler galt als hochtalentiert, aber schwierig. Und faul. Das änderte sich schlagartig, als er mit 14 Jahren an das Instrument zurückkehrte und auf einen Klavierlehrer traf, „der Musik nicht in Genres unterteilte“ und auch für Jazz offen war. Rosenberg rückblickend: „Klassische Musik war eine Leidenschaft von mir. Aber ich mochte es nicht, mich streng an Regeln zu halten.“ Stattdessen genoss er die Spielräume der Improvisation. Damit wurde es ernst mit der musikalischen Laufbahn. In den Jazz hinein tastete er sich schrittweise von den oberflächlichen Klassik-Verarbeitungen eines Jacques Loussier und Eugen Cicero über Oscar Peterson bis zu Bill Evans – und stieß schließlich auf Keith Jarrett, für ihn bis heute ein Nonplusultra, „eine Referenz in Ästhetik und Wandelbarkeit“. Nachhaltig prägend wurden die Jahre am renommierten Jazzcampus Basel, wo er kurzerhand zwei Master machte. „Eine sehr wichtige Zeit. Dort habe ich auch viele tolle Musiker*innen kennengelernt.“ Sein Studium finanzierte er unter anderem durch eine kontinuierliche Arbeit als Buchhändler. „Literatur hatte für mich ebenfalls immer schon einen hohen Stellenwert.“ Auf den Wechsel nach Zürich folgte die Beschäftigung mit Operettenliedern.
Das rundum faszinierende, einzigartige Ergebnis ist „Rotwelsch“: ein Konzept und eine Gruppe, bei der Originalität, Kollektivgeist und höchste musikantische Klasse perfekt zusammenkommen.
-Arne Schumacher
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